Wege zum Guten Leben (Bündnis der Großväter – Teil 2)
Vorerst einmal herzlichen Dank für die vielen Rückmeldungen, Kommentare und Anregungen: Von euch (auch kinderlosen) Frauen und Männern, die sich gerne an der Denkwerkstatt zum Guten Leben beteiligen möchten. Mit der Bezeichnung „Großväter-Bündnis“ wollte ich – neben einer leichten Selbst-Ironie – nicht die Gender-Auseinandersetzung provozieren, sondern vor allem ein Bild zeichnen, von Menschen – Frauen und Männern – die mit einer bestimmten emotionalen Gelassenheit das Treiben um sich beobachten und sich dabei die Frage erlauben: Warum tun die Menschen, das was sie tun? Gibt es vielleicht außer dem rastlosen Rennen auf dem Hamsterrad auch andere Wege, die eigene Lebenszeit gut zu leben? Geht es auch langsamer, besinnlicher, konvivialer und schöner? Ist dies die beste aller Welten, die wir unseren Kindern und Enkelkindern überlassen können?
Über Inhalte und Qualitäten des „Guten Leben“, über die Bilder, die wir damit verbinden und die Wege, die wir in diese Richtung hin gerne begehen möchten, geht es beim ersten Treffen dieser Werkstatt – wahrscheinlich im Monat März.
Dieses Mal möchte ich etwas mehr auf das „Böse“ eingehen, jene Grundkräfte, Gedanken, Handlungen, die wie massive Felsbrocken den Weg zum Guten Leben versperren.
Die „Banalität des Bösen“ (nach Hannah Arendt) (*)
Ausgehen möchte ich von der Frage: Warum gibt es keinen allzu großen Widerstand, wenn durch politische und wirtschaftliche Maßnahmen Millionen von Menschen ausgehungert werden? Wenn durch Finanzspekulationen, Landgrabbing, Monopole auf Saatgut und Exportsubventionen die Lebensgrundlagen ganzer Völker vernichtet werden? Gilt dies nicht als „böse“? Oder wenn lebenswichtige Flüsse und Meere verschmutzt und Wälder zerstört werden? Oder die Grundrechte auf Wasser und Gesundheit von privaten Interessensgruppen verwaltet werden?
Es gibt ein „Böse-sein“, das anscheinend globale Akzeptanz findet, weil es einem „höheren Zwecke“ dient; damit meine ich nicht religiös motivierte Gräueltaten, denn auf diese Art des „Böse-Seins“ reagiert die Weltöffentlichkeit empfindlich.
Weit gefährlicher, weil verborgener und subtiler ist das „banale“ Böse, das sich verselbstständigt hat, selbstverständlich geworden ist und wie ein dunkler Mantel auf dem Denken der Menschen liegt. So selbstverständlich, dass es an Universitäten gelehrt und politikbestimmend ist.
Diese Banalität entspringt einer Ideologie der Sachlichkeit und unterminiert daher jegliches Urteilsvermögen bzw. eigenständiges Denken und enthebt den Menschen aus seiner Verantwortung.
Es gibt dieses „Böse“ daher nicht, und seine Auswirkungen werden lediglich in Form von Kollateralschäden gesehen; im Sinne des Sprichworts: „Wo gehobelt wird, fliegen die Späne….“
„Das größte Böse ist nicht radikal, es hat keine Wurzeln, und weil es keine Wurzeln hat, hat es keine Grenzen, kann sich ins unvorstellbar Extreme entwickeln und über die ganze Welt ausbreiten,“ schreibt Hannah Arendt in ihrer Vorlesung zur Frage der Ethik.
Shelley Sacks und Hildegard Kurt gehen in ihrem sehr lesenswerten Buch „Die rote Blume“ (**) näher auf diese Aussage ein: „Hannah Arendt hat in ihren Vorlesungen „Über das Böse“ herausgearbeitet, wie das bislang größte Böse von „Niemanden“ begangen wurde: von Menschen, die sich weigerten, „Personen“ zu sein- selbst zu denken, sich zu erinnern, den eigenen Wahrnehmungen und Empfindungen zu trauen. Wer dergestalt „wurzellos“ ist, sich nicht in die Dimension der Tiefe begibt und sich daher nicht in sich selbst stabilisiert, geht, so Arendt, nur allzu leicht „in eine andere Ordnung“ über, funktioniert nach Vorgaben von außen, wird zum Rädchen im Getriebe, wird Teil der „Banalität“ des Bösen.“
Und, so fragen sich die beiden Autorinnen weiter: „Wird vielleicht auch all die strukturelle Gewalt im globalisierten Kapitalismus – ob industrielle Massentierproduktion, die Spekulation mit Lebensmitteln oder Landraub zugunsten unserer Rentenfonds – zum größten Teil von „Niemanden“ begangen? Von Akteuren, die sich vor dem Gesetz nichts zuschulden kommen lassen, aber insofern „wurzellos“ sind, als sie ihr Tun und sich selbst als Mensch nicht durchdringen? Zeigt sich womöglich gerade in einem Wirtschaftssystem, das bei seinem grenzenlosen Zerstörungswerk nicht einmal Waffen einsetzen muss, sondern nur der eigenen, weltweit an Universitäten vermittelten Logik folgt, die „Banalität des Bösen?“
Was tun gegen dieses banale, selbstverständliche „Böse“? Die oben genannten Autorinnen schreiben in Anlehnung an Arendt: „Nur das Gute ist radikal (in der Wortbedeutung von radicalis = eingewurzelt).“Es entsteht, wo Individuen und Gemeinschaft beginnen, in sich selbst Wurzeln zu schlagen“.
Wurzeln finden bedeutet in erster Linie, zu sich zu finden. Die gerade in diesen Tagen viel beschworene Freiheit geht weit tiefer als die Kritikfreiheit, die Freiheit der Satire. Sie bedeutet für mich in erster Linie die Freiheit des „inneren Raumes“: Es geht um Entrümpelung, d.h. vor allem darum, diesen Raum des Denkens und Fühlens freizumachen von Millionen unbearbeiteter Bilder aus Unterhaltungsindustrie, Werbung und gezielter politischer Manipulation.
Es geht um ein Freimachen von Stress, von Angst…damit Raum geschaffen wird für Imagination von dem, was uns wirklich wichtig ist, und Raum für Empathie und Verbundenheit zum Lebendigen.
Diese Befreiung sehe ich als Voraussetzung für die Fähigkeit Neues zu gestalten, zukunftsfähige Gesellschaften zu modellieren.
Es braucht dazu die Präsenz des „erwachten, verlebendigten Individuums“(so Sacks und Kurt), der neben kognitiven, rationalen Fähigkeiten auch ein breites Einfühlungsvermögen, Empathie, Gerechtigkeitssinn und Mut mitbringt.
Auf diesem Weg der Befreiung von den Schatten des „Bösen“ braucht es verantwortliche, selbstreflektive Individuen, die sich auch aus den Normen der gängigen Meinungen und Vorstellungen befreien können.
„Nachhaltigkeit ohne Ich-Sinn ist ein Unsinn“, schreibt Hildegard Kurt, denn nur das bewusste „Ich“ kann Verantwortung übernehmen für die Befreiung des inneren Raumes.
Nochmals zum „Bösen“: Hannah Arendt hat in ihren Arbeiten zum Eichmann-Prozess die Mitverantwortung jüdischer Funktionäre aller Ränge aufgezeigt und zieht die Schlussfolgerung: Die latente, die potentielle Möglichkeit „Nein“ zu sagen, besteht zu jedem Zeitpunkt. Gegen das Böse als solches kann kaum was ausgerichtet werden, wohl aber gegen die Akzeptanz des Bösen als Selbstverständlichkeit.
Die Frage mag trivial klingen: Wie viele von uns stellen sich die Frage, wie manipulierbar die menschliche Gemeinschaft geworden ist? Wie subtil die kulturellen Kontrollmechanismen geworden sind? Wie viele von uns haben den Mut sich zu hinterfragen, ob mit ihren Ersparnissen in Pensionsfonds und Banken Killer finanziert werden? Wie viel menschliches und nicht menschliches Leid hinter den Produkten auf den Regalen der Supermärkte steckt?
In Tolkiens „Herrn der Ringe“ gibt es das große „Böse“ in der Gestalt Saurons; daneben gibt es das banale „Böse“ in allen Schattierungen, in vielfältigen Formen von Schatten, der auf den Menschen und den nicht-menschlichen-Lebewesen liegt. Besiegt werden kann dieses „Böse“ letztlich nur durch die innere Freiheit eines einfachen Hobbits, der frei von Machtansprüchen ist.
Wenn wir die innere Freiheit zur Frage haben, was uns im Leben wichtig ist, wird Raum frei für die Samen des Guten Lebens. Und wir können, im Sinne Voltaires, trotz (vielleicht auch wegen) des „Bösen“ unseren Garten bestellen.
Mit lieben Grüßen
P.S. auf meine Webseite habe ich mehrere ältere Beiträge zum Thema „Zeit und Muße“ gepostet. Einiges ist aus meiner Sicht immer noch aktuell (www.arnoteutsch.org unter Laboratory „Time Ecology“
Anmerkungen:
*)Hannah Arendt hat den Prozess gegen den NS-Verbrecher Adolf Eichmann als Beobachterin mitverfolgt und 1963 das Buch: Eichmann in Jerusalem – A Report on the Banality of Evil veröffentlicht.
**) Die rote Blume, ästhetische Praxis in Zeiten des Wandels, von Shelley Sacks und Hildegard Kurt, mit einem Vorwort von Wolfgang Sachs, Thinkoya-Verlag ist für mich ein sehr inspirierendes und lesenswertes Buch für all jene, die in Bildungsprojekten zur Nachhaltigkeit arbeiten
Lascia un Commento