Wege zum Guten Leben (Bündnis der Großväter – Teil 1)
…damit das, was gut war, wieder mit neuem Leben erfüllt werden und weiterwachsen kann.
Die Vorgeschichte: Zu Weihnachten habe ich meiner 18jährigen Nichte „Die Botschaft der weisen Alten“ geschenkt; das Buch, herausgegeben von Carol Schaefer, enthält den spirituellen Rat von dreizehn Großmüttern aus Stammeskulturen in aller Welt. Vor 10 Jahren, im Herbst 2004, hatten diese weisen Frauen ein Bündnis zur Heilung der Mutter Erde geschlossen. „Die Zerstörung der Erde beunruhigt uns zutiefst“, schreiben sie in ihrem Gründungsmanifest. „ Die Vergiftung der Luft, der Gewässer und der Erde, die Gräueltaten des Krieges, die Bedrohung nuklearer Waffen und Abfälle, die wachsende Armut, die vorherrschende Kultur des Materialismus, die Epidemien, die die Menschheit bedrohen, die Ausbeutung der Urvölker, und die Zerstörung ursprünglicher Lebensformen“ (…). Den Ausweg aus der Krise sehen sie in einer weltweiten Aufwertung der Weisheit der Großmütter.
„Die Wissenschaft wird uns nicht den Weg in diesen schwierigen Zeiten weisen. Die wahren Experten sind die Großmütter, die das über Generationen gewachsene Wissen, wie man Nachhaltigkeit leben und Beziehungen stärken kann, in sich tragen“.
Das Buch finde ich lesenswert und inspirierend; gleichzeitig aber auch provozierend in den Aussagen zur Wissenschaft und im Anspruch, dass die Rettung ausschließlich von den Großmüttern kommen kann. Ohne jegliche Polemik frage ich mich: Welche Rolle spiel(t)en die Großväter? Oder jene Männer (und Frauen!) aus der Welt der Wissenschaften, die in ihrem Schaffen ebenso die Zerstörung des Menschen durch die Auswüchse moderner Zivilisation aufgezeigt haben?
Braucht es neben dem „Bündnis der Großmütter“ auch ein Bündnis der Großväter? Oder gar ein gemeinsames? Ein fruchtbares Zusammendenken von Menschen aus der Wildnis der Regenwälder, der Steppen und Gebirgslandschaften und Menschen aus den gemauerten Umzäunungen der Universitäten?
Eine Projektidee für das Jahr 2015:
„Ein Bündnis der Großväter“? Das Bild der Zeit-habenden und Pfeifen-rauchenden weißhaarigen Männer, die wie Gandalf weit in die Zukunft blicken können, wirkt zwar erhebend, findet aber immer weniger Entsprechung im wirklichen Leben.
Doch haben wir einige Bücher solcher Männer in den Regalen, die wir als Denkanstöße in einem solchen Bündnis nutzen könnten. Nicht nostalgisch, nicht kritiklos übernehmend, sondern vor allem fragend und weiterdenkend. Wie es etwas Ivan Illich, einer dieser „alten“ Entzauberer der Fortschrittsmythen in seinem Buch vom Recht auf Gemeinheit, irritierend formuliert:
„Werbung für Arkadien ist mir ebenso wenig wünschenswert wie die Planung Utopiens. Durch vernakuläre Lebenskunst gestaltete Existenz betrachte ich nicht als heile Welt(…)Ich werbe hier nicht für den Traum von neuen Hochkulturen, die in ihren ökologischen Nischen aus eigenem Reis, Rhythmus und Ritual gewoben werden sollen. Wer zurück will, den halte ich für einen Verführer, für den gerade in den achtziger Jahren weitere Kreise immer anfälliger werden“(Ivan Illich: Vom Recht auf Gemeinheit 1982).
Ivan Illich kann immer noch wertvolle Denkimpulse geben, wenn über zukunftsfähige Schulbildung und Entwicklungskooperation oder auch über die Zukunft der Kleinkrankenhäuser in Südtirol nachgedacht wird.
Einen weiteren „Großvater“, den ich mit dabei haben möchte, ist Andre´ Gorz, den Vordenker einer gerechteren und lebenswerteren Aufteilung von Arbeit und – damit zusammenhängend – des gesicherten Grundeinkommens. „Das Ziel einer Gesellschaft, in der ein(e) jede(r) weniger arbeitet, damit alle Arbeit finden und besser leben können, wird somit heute zu einem der wichtigsten Faktoren des Zusammenhalts (…) und der Erneuerung sozialer Freiheitsbewegungen.“
Diese Textstelle ist heute aktueller denn je. Dennoch verstauben Gorz´ Bücher in den Regalen der Gewerkschaftsbibliotheken. Doch auch die Öko-Bewegung kann von Andre´ Gorz immer noch einiges lernen:
„Der Wille, die Natur zu beherrschen, kippt um in den Willen, die Natur abzuschaffen, die “äußere” ebenso wie die “innere” menschliche, zu Gunsten einer durchrationalisierten, vorprogrammierten, sich selbst regulierenden Weltmaschine, die von Menschmaschinen und Maschinenmenschen vor natürlichen Abweichungen und subjektiven menschlichen Wertungen und Verhaltensweisen geschützt ist.“
Weitere zwei Großväter, auf die ich nicht verzichten möchte, sind Ernst F. Schumacher und Hans Peter Dürr. In den frühen Siebzigern des letzten Jahrhunderts hat Schumacher die Rückkehr „zum menschlichen Maß“ gefordert. Sein Büchlein „Small is beautiful“ zeigt Wege auf, die immer noch beispielhaft sind für zukunftsfähige Entwicklungen: Es braucht Technologien, die den Menschen angepasst sind, nicht solche, die den Menschen anpassen; es braucht ein Bildungssystem, das zuallererst und vorrangig die Aufgabe hat, Gedanken und Werte weiterzugeben, die uns Sinn geben, denn wenn die „Kultur des inneren Menschen“ vernachlässigt werde, bleibt, so Schumacher, die Selbstsucht die dominierende Kraft, gerade im Wirtschaftssystem.
Die Suche nach dem „menschlichen Maß“, nach Überschaubarkeit von Institutionen, Produktionssystemen und Lebenswelten ist ein Kernthema zukunftsfähiger Entwicklung.
Hans Peter Dürr ist einer der jüngeren „Großväter“ (im Monat Mai des vorigen Jahres verstorben). Quantenphysikalische Erkenntnisse hat er mit sozialem und ökologischen Engagement verwoben und mit dem Satz auf den Punkt gebracht: Es braucht ein neues Denken für eine Welt in Umbruch, denn „Denken erschafft Realität“. „Wie kommen wir dazu, die Phantasie wieder springen zu lassen? Wir müssen unser Erziehungssystem ändern. Wir müssen meines Erachtens die Inhalte extrem reduzieren, damit die jungen Leute wieder mit ihrem Denken experimentieren können.“ Und weiter: „Wir brauchen ganz dringend Entwürfe für positive, in vollem Sinne lebenswerte, ökologisch nachhaltige Lebensstile. Es gibt solche Entwürfe, und deshalb wird auch ein Wandel nicht ausgeschlossen sein. Wir müssen den Wandel nur wirklich wollen. Alle sind dazu aufgefordert, dabei mitzudenken, diesen Wandel mitzugestalten und vor allem ihn ‘katalytisch’ richtig auf den Weg zu bringen.”
Die Auswahl dieser „Großväter“ ist mir nicht leicht gefallen; es gibt viele andere, auch solche die noch auf dieser Ebene und in unserem Lande weilen. Warum also nicht den Versuch wagen, ein solches „Bündnis“ anzuregen? Für „Großväter“ und „Großmütter“ aus unserer westlichen Kulturwelt, die in ihrem Denken und in ihrer Lebenspraxis Wege zur Zukunftsfähigkeit gestaltet haben? Und die auch Brücken schlagen können zu jenen Welten der Stammeskulturen, die so weit entfernt scheinen, aber es in Wirklichkeit nicht sind. Persönlich habe ich sehr viel von den alten Weisen (Frauen und Männer) der indigenen Indianervölker Ecuadors gelernt; sie haben die Pforten meiner Wahrnehmung breiter gemacht. Vielleicht war aber dieses Lernen gerade deshalb so wichtig, weil ich mich in anderen Zeiten mit den verschiedenen „Alten“ der europäischen Kultur auseinandergesetzt hatte?
Die Einladung zum Mit-Denken gilt. Vielleicht gelingt es uns gemeinsam eine Denkwerkstatt zu einem solchen „ Bündnis“ zu gestalten.
Auf Rückmeldungen und Nachfragen zur Vertiefung freue ich mich!
Nochmals die besten Wünsche für ein gut gelebtes 2015!
Arno
P.S. In der Anlage schicke ich noch zwei Texte mit. Den Reminder an die „K(C)ompost-Werkstatt“ und einen Aufruf von Ivan Illich aus den sechziger Jahren: „Aufruf zur Feier unserer Menschlichkeit“. Ein Text, der besonders gut in diese Neu-Jahr-Stimmung passt.
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