Category Archives: Transition notebook

Menschenrecht auf Nahrung, Menschenrecht auf Selbstbestimmung, Menschenrecht auf Glück

Fragmente in einem Diskurs zum Guten Leben

 “We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights,  that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.” (*) – Aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776

“Gleich aus welchem Land wir kommen (…)wir alle streben nach Glück und wollen dem Leid entfliehen, unabhängig von unserer Rasse, Religion, Geschlecht oder politischem Status. Menschen, ja alle Lebewesen, haben das Recht, nach Glück zu streben und in Frieden und Freiheit zu leben“ (Aus der Rede des Dalai Lama auf der Menschenrechtskonferenz der UNO 1993)

Glück

Sehnsucht nach Glück! Von alters her dreht sich viel im menschlichen Leben um die Suche nach diesem Zustand. Wobei die Vorstellung von Glück, ebenso wie jene vom Guten Leben unterschiedlich sein kann, abhängig von kulturellen Faktoren, vom Alter, vom gesellschaftlichen Kontext.

Daher kann nicht das Glück an sich ein Menschenrecht sein, dies war den Gründervätern der amerikanischen Unabhängigkeit klar, sondern das Streben (pursuit) danach. Als Schöpfer der eigenen Welt Selbstverwirklichung anstreben und in  diesem Streben und Handeln den Sinn für die eigene Existenz finden. Diese Suche wird zum Aktionsfeld für seine gottgegebenen gestalterischen und kreativen Fähigkeiten, für seine Bestimmung.

Selbstbestimmung

In diesem Kontext wird Bestimmung zur Selbstbestimmung; kein anderer Mensch und keine Institution kann dieses Streben nach Glück abnehmen und dies erfordert individuelle Freiheit. Damit verbindet sich das Menschenrecht zur Suche nach Glück mit dem Menschenrecht auf Freiheit und Selbstbestimmung: nach freiem Willen über das eigene Leben entscheiden zu können, ohne Unterdrückung, Manipulation und Fremdbestimmung.

Das Recht auf Selbstbestimmung des eigenen Lebens bedeutet keinen Freipass zu einem reinen Ego-Trip, denn die Freiheit des Einzelnen endet da, wo die Freiheit der anderen Menschen beginnt. Selbstbestimmt bzw. souverän sein beinhaltet damit auch Selbstverantwortung. Um verantwortlich entscheiden zu können, benötigen wir allerdings Klarheit über das, was wir als Ziel im Leben sehen und gleichzeitig die Fähigkeit zur Einsicht über die Tragweite unserer Entscheidungen.

Wie frei sind wir? Diese Mündigkeit/Verantwortung ist im Alltag nicht einfach zu leben: Wie kann man souverän sein, wenn wir Tag für Tag einer Armee von Werbespezialisten, Wissenschaftlern, Massenmedien ausgesetzt sind, die uns für ihre Zwecke beeinflussen und manipulieren wollen?

Dennoch bleiben uns Entscheidungen nicht erspart, denn zur Manipulation braucht es immer zwei: ohne bewusste bzw. unbewusste „Einwilligung“, ohne das Zulassen und Akzeptieren gibt es die Manipulation nicht.

So schwer es auch scheinen mag: Es liegt an uns, wie die Entscheidungen im Bereich des Lebensstils, des Konsums, der Ernährung, der Gesundheit, des Guten Lebens ausfallen. Wie und wohin wir unsere Suche nach Glück lenken. Welche und wie viele Konsumgüter wir dazu brauchen.

Häufig liegt – zumindest in den Wohlstandsgesellschaften des Nordens – eine Vielzahl von Gegenständen und materiellen Gütern zwischen uns und dem Glück. So viele, dass wir manchmal das Ziel aus den Augen verlieren.

Ernährungssicherheit

Der Mensch braucht Nahrung, um zu leben. Das Recht auf Nahrungssicherheit ist daher ein wesentlicher Eckpfeiler aller Menschenrechte. Und die UNO definiert dies so: „Das Recht auf angemessene Nahrung ist dann verwirklicht, wenn jeder Mann, jede Frau und jedes Kind, einzeln oder gemeinsam mit anderen, jederzeit physisch und wirtschaftlich Zugang zu angemessener Nahrung bzw. zu Mitteln zu ihrer Beschaffung haben“. Und weiter:“ Das Recht auf angemessene Ernährung gilt als verletzt, wenn durch dauerhaften Entzug von Nahrung oder Ernährungsgrundlagen die Würde des Menschen verletzt ist“. Es geht also nicht nur um die Versorgung mit Kalorien und Nährstoffen zum physischen Überleben, sondern um Würde und Selbstbestimmung.  Diese  Werte stehen im Mittelpunkt, nicht – außer in Notsituationen – rein karitative Lösungen, die sich damit begnügen, kurzfristig den Hunger zu stillen.

Mehr noch: „Es genügt nicht, die Menschen nur mit Nahrung, Unterkunft und Kleidung zu versorgen (…). Die Seele des Menschen braucht Freiheit, um atmen zu können“, so der Dalai Lama.

Gärten als Menschenrecht

Die drei Menschenrechte vom Streben nach Glück, nach Selbstbestimmung und nach Nahrungssouveränität sind eng miteinander verknüpft und können nicht getrennt voneinander gesehen werden. In unserer Kampagne „Gärten als Menschenrecht“ wollen wir dies auf die konkrete Ebene der Gärten bringen. Nicht nur weil Gärten in allen Teilen der Welt und in allen Kulturen für die seelische Gesundheit und das materielle Wohlbefinden so wichtig sind. Sondern auch weil Gärten einen Ort der Besinnung schaffen: Zum Nachdenken darüber, was für unsere Suche nach Glück wesentlich ist, und zur Entwicklung eines neuen „Traumes von Welt“, in dem neue Menschenrechte geboren werden können.

Zur weiteren Vertiefung möchte ich auf die Rede des Dalai Lama auf der Menschenrechtskonferenz der UNO in Wien im Juni 1993 hinweisen. Ein immer noch höchst aktueller Text  http://www.buddhanetz.org/texte/dalai1.htm

(*)Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück (Pursuit of Happiness) gehören.

Einladung zum Dialog x 3

Im Rahmen der Aktionstage Politische Bildung der Ämter für Weiterbildung sind drei Dialogrunden geplant, in denen es um ein gemeinsames Nachdenken zu diesen Themen geht:

  • 4 Mai – Hauswirtschaftsschule Haslach/Bozen – von 17.00 bis 19.00 Uhr

  • 7 Mai – Klostergarten Galanthus Lana – von 10.00 bis 12.00 Uhr

  • 14 Mai – Gärten Semirurali – Bozen – von 10.00 bis 12.30 Uhr

Mit herzlichen Grüßen und Wünschen zu einer gut gelebten Woche!

Arno Teutsch

P.S.  In der Anlage schicke ich zweiweitere Texte aus dem letzten Newsletter von Franz Alt mit:

Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte – Mehr als 2-3 Milliarden Menschen werden innerhalb weniger Jahrzehnte weltweit vom Land in die Städte drängen, dabei verdoppelt sich die Einwohnerzahl der globalen Slums. Es ist die größte Migrationsbewegung unserer Zeit.

Dem Orient droht ein Klima-Exodus – Der Klimawandel könnte Teile des Nahen Ostens und Nordafrikas unbewohnbar machen. Die deutliche Verschlechterung der Lebensbedingungen wird viele Menschen dazu zwingen, die Region zu verlassen.

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Zurück ins erwachte Dorf

Vor rund 20 Jahren (August 1995) hatte ich für die Wochenzeitschrift „FF“ unter diesem Titel einen Beitrag geschrieben, den ich jetzt auf meiner Webseite erneut zur Diskussion stelle.

Es geht mir dabei weniger darum festzustellen, was in den letzten Jahren passiert bzw. nicht passiert ist; wichtig ist mir die Bedeutung des Dorfes und des ländlichen Raumes im Allgemeinen aufzuzeigen. Die Habitat III – Weltkonferenz der UNO bereitet sich im Herbst auf die Frage vor: Wie können die Städte der Zukunft, in denen 70% der Weltbevölkerung leben werden, zukunftsfähig und menschenwürdig gestaltet werden? Mir scheint, dass aber gleichzeitig die Frage vertieft werden sollte: Was kann getan werden, damit möglichst viele Menschen gar nicht erst in die Städte flüchten müssen? Es geht dabei nicht nur ausschließlich um die materielle Dimension des Überlebens, sondern auch um die Vorstellungen und Visionen von einem „Guten Leben“; d.h. um eine kulturelle Auseinandersetzung zu dem was „gut“ und „wichtig“ ist.

Es folgt der (leicht gekürzte) Text des FF-Artikels (Nr. 34 – 19. August 1995)

„Heimat„ nach dem Scheitern der Moderne?

Ein Vorschlag

Wer immer für „Fortschritt“ war und sein geistiges Zuhause in der Großstadt sah, gerät in Erklärungsnotstand: Der Geist der Moderne ist verblasst. Führt der Weg nach vorne zurück aufs Land? Was wäre dann mit den Errungenschaften der Moderne?

Die vielen Krisen weltweit haben zur „Entzauberung der Moderne“ geführt; der offene globale Markt hat seinen Charme verloren. Nicht nur im Süden der Welt platzen die Trugbilder einer nachholenden Entwicklung nach westlichem Vorbild. Frustrierte Wohlstands-Hoffnungen machen sich mit Waffengewalt Luft, und die zum reinen Verwertungsobjekt degradierte Natur reagiert auf ihre Weise

Alte Sicherheiten bröckeln ab, Angst macht sich breit und damit auch die Flucht ins vermeintlich Sichere: Der Rückzug ins Kleine, noch Überschaubare.

Ein nur scheinbar paradoxes Phänomen: In einer Welt ohne Grenzen entwickelt sich immer mehr ein Bedürfnis nach Heimat. Im globalen Markt entwickeln sich, vor allem dort wo es weltwirtschaftliche Peripherien gibt, schon längst totgeglaubte Formen von Subsistenz- bzw. Überlebenswirtschaft, die althergebrachte Traditionsbestände an Solidarität und Gemeinschaftssinn reaktivieren. In einer neuen „existentiellen Vernunft“ werden – als Gegenstück zur instrumentellen Vernunft des Marktes – fundamentale geistige, gesellschaftliche und menschliche Werte wiederentdeckt.

Für Südtirol scheint das Thema des „Zurück ins Dorf“ alles eher als neu: Dorf und Heimat als Bollwerke gegen die Moderne; Heimat und Zusammenhalt als Schutz in einem fremden Land, als Schutz vor Überfremdung der Sprache und Kultur. Erst reichlich spät besann man sich der Heimatrechte der „anderen“, im Lande Lebenden; und selbst heute noch ist gar nicht so klar, ob und wie viele Italiener mitgenommen werden sollen in eine neue regionale „Heimat“ in Europa.

Die Heimat lag im „geschlossenen Hof“, eine reine Männerdomäne; Heimat war Ausdruck für Abscheu vor der Fabrik, fürs Bewahren alter Machthierarchien im Dorfe. In seinen Schattenseiten ist alles schon dagewesen und bekannt: Argwohn gegen alles Fremde, Scheu vor Offenheit, kulturelle Abkapselung, Hetze gegen Andersdenkende.

Aber: Geht es vielleicht auch anders? Liegt nicht gerade im Dorf die Chance für eine funktionsfähige, ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Keimzelle für das neue Europa? Haben wir, die wir so stark von Moderne und Aufklärung geträumt haben, den Traum denn ganz umsonst geträumt?

Südtirol ist, bedingt durch seine Geschichte und durch seine besonderen ethnischen Gleichgewichte, nie ganz „modern“ geworden. Eine einmalige Gelegenheit für uns zu einem besonderen Brückenschlag: Zur Synthese zwischen der alten Heimat mit ihren Werten des Gemeinschaftslebens und jenen Elementen des aufgeklärten Denkens, die hinübergerettet werden sollten bei der „Rückkehr in die Zukunft“.

Gewiss, einige Auswüchse der Moderne haben auch Südtirol längst überrollt: Autobahnen, Schnellstraßen, Konsumwelle, „Entzauberung vieler traditioneller Lebensbereiche“, sofern sie nicht gerade in Tourismuswerbung passen.

Südtirol lebt vom und bereichert sich am internationalen Personen- und Warenverkehr, an Touristen und Obst. Auch in Südtirol gibt es einen modernen und vergleichsweise recht gut funktionierenden Sozialstaat und öffentlichen Verwaltungsapparat.

Doch gibt es gleichzeitig auch viele Ansätze, die in eine andere Richtung weisen, die Hoffnung geben für die Realisierbarkeit der Vision eines „erwachten Dorfes“. Gegen eine weitere „Modernisierung“ und gegen die Beschleunigung des motorisierten Verkehrs wird tüchtig gekämpft; es gibt viele Ansätze zu einer Landwirtschaft mit menschlichem Maße, für eine Aufwertung der handwerklichen Fähigkeit und Produkte. Für die Bewahrung eines echten Gemeinschaftslebens wird einiges getan. Trotz Markt und D-Mark hat noch lange nicht alles seinen Preis. Der Südtiroler Welfare-State hat (noch) nicht alles zerstört was zwischen dem Einzelnen und dem Staate liegt. Es gibt sie noch, die Gratisarbeit, die Nachbarschaftshilfe und das Volontariat; selbst die Großfamilie ist noch lange nicht ausgestorben und auch einige Commons und Gemeinschaftsgüter überleben quasi als Relikte einer vergangenen Zeit.

Und was in der Subsistenzwirtschaft Sri Lankas die Shramadana/Sarvodayas und in Südamerika die Mingas sind, überlebt weit außerhalb der Rationalität des Marktes auch in einigen Orten des Pustertals als „Robottn“; gemeint ist die unentgeltlich geleistete Arbeit zur Verwirklichung von Gemeinschaftsprojekten im Dorfe.

Lediglich antike Relikte aus vergangenen Zeiten oder Samen für eine neue Zukunft?

Es gibt so einiges was Südtirol mit den alten und neuen Subsistenzwirtschaften im Süden der Welt verbindet: Im Lande gibt es noch Vieles „mit menschlichem Maß“; in vielen Menschen gibt es immer noch ein tiefes empathisches, ja auch spirituelles Gefühl für Zusammengehörigkeit und Einheit mit der Mitwelt; viele Südtiroler verbinden die Vision der „Bewahrung der Schöpfung“ nicht mit einer Regression zurück ins undifferenzierte Denken, sondern mit der Weiterentwicklung menschlicher Potentiale.

„Rückkehr ins erwachte Dorf“ als Ziel entwicklungspolitischen Denkens in Südtirol? Der Titel ist ein Spiel mit Metaphern, eine Einladung zur Diskussion.

Das „Dorf“ steht dabei als Bild für das Kleine und Überschaubare, für die Bewahrung und Aufwertung traditioneller Gemeinschaftsformen und – werte.

Und „erwacht“ sollte dieses Dorf sein, nicht nur weil auf einige Errungenschaften der „Moderne“ nicht verzichtet werden soll: So auf Weltoffenheit und Toleranz, auf möglichst direkte Demokratie, auf eine effektive Gleichstellung der Geschlechter, auf individuelle Entscheidungsfreiheit. Doch „Aufklärung“ allein ist zu wenig; ein „erwachtes Dorf“ beinhaltet die Fähigkeit zur Empathie, zum Eins-Sein mit der Natur, zur Weisheit.

Die Vision eines „großen erwachten Dorfes“ als einer regionalen Gemeinschaft, die in der Lage ist, sich zum Großteil selbst zu versorgen, nachhaltige Entwicklung mit möglichst geschlossenen Kreisläufen anstrebt, mit eigener Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik auch für die lange wirtschaftliche Durststrecke nach dem zu erwartenden Wirtschaftschaos in Europa?

„Heimat als Paradies – Heimat als Gefängnis“ lautet eine der Fragestellungen zu den heurigen Toblacher Gesprächen im kommenden Monat. Eine Frage, die sicherlich viele berührt, die wie ich in den 50er und 60er Jahren im Dorf aufgewachsen sind, dort die Kraft der Solidarität, der Verbundenheit, der Überschaubarkeit und Sicherheit erlebt haben, aus diesem Dorf aber geflüchtet sind, weil Andersdenkende keinen Platz darin fanden.

Kann eine neue Vision von einem „aufgeklärten“, multikulturellen Dorf geschaffen werden,, von einer Heimat, die nicht aus Angst und Abgrenzung anderen gegenüber entsteht, sondern eine offene Gemeinschaft ist, in der die Wurzeln einer neuen Kultur des Zusammenlebens gelegt werden?

Wie stehen die Chancen, dass es der zukünftigen „Europaregion Tirol“ gelingen wird, in sich die Keime dieses neuen, erwachten Dorfes zu vereinen“ Brücke zu sein, nicht nur sprachlich und kulturell, sondern auch weltanschaulich, in einer Aufhebung der alten Dichotomie zwischen Tradition und Moderne?

Arno Teutsch

Die rote Blume